
Planungskulturen des Umbauens – Teil I
Planning Cultures of Conversion – Part I
Podcast in German: Peter Köddermann, Prof. Stine Kolbert & Prof. Mario Tvrtković
November 25 2024
There is currently a lot of discussion about conversion (culture), building and spatial change. There are many reasons for turning to and using existing material as well as social and cultural resources in existing buildings and settlements. These include the ongoing consumption of resources, the release of CO2 and the production of waste in the construction industry, the unchecked consumption of land in the development of settlements and infrastructure, and the complex forms of structural economic, social, and cultural change in urban and rural areas. The preoccupation with existing buildings is not new. A good 50 years ago, it was decisively initiated by urban development funding in Germany, the European Year of Monument Protection and a few years later by the IBA-Altbau in Berlin. The transformation in the existing built and lived city continues unabated today and is being given new impetus by a series of structural breaks and crises. These include vacancies as well as the need for renewal due to changing economic, social, or climatic conditions. In the conversation with Peter Köddermann, Stine Kolbert und Mario Tvrtković we discuss how reconstruction and redevelopment can actually be initiated, designed and implemented under inherent uncertainties and with the involvement of a large number of stakeholders and relevant interest groups involved. The discussion is based on the jointly organized symposium “Planning Cultures of Conversion” in June 2024 as part of tu! Hambach 2024.
Umbau(-kultur), Bau- und Raumwende sind in aller Munde. Es gibt viele Anlässe für die Hinwendung zu und Inwertsetzung von bestehenden materiellen wie auch sozialen und kulturellen Ressourcen im Gebäudebestand und in bestehenden Siedlungsgebieten. Dazu zählen die anhaltende Höhe von Ressourcenverbrauch, CO2 Freisetzung und Müllproduktion im Bauwesen, der ungebremste Flächenverbrauch in der Siedlungs- und Infrastrukturentwicklung oder auch die vielschichtigen Formen des strukturellen ökonomischen, sozialen, kulturellen Wandels im urbanen bis ländlichen Raum. Die Beschäftigung mit dem Bestand ist nicht neu. Sie wurde vor gut 50 Jahren durch die Städtebauförderung, das Europäische Denkmalschutzjahr sowie einige Jahre später durch die IBA-Altbau in Berlin maßgeblich mit angestoßen. Der Wandel in der bestehenden gebauten und gelebten Stadt hält heute unvermindert an und erhält durch eine Vielzahl von Strukturbrüchen und Krisen neue Schübe. Dazu zählen Leerstände genauso wie Erneuerungsbedarfe aufgrund veränderter ökonomischer, sozialer oder auch klimatischer Bedingungen. Im Gespräch mit Peter Köddermann, Stine Kolbert und Mario Tvrtković fragen wir, wie Um- und Weiterbauen tatsächlich angestoßen, unter inhärenten Unwägbarkeiten und mit einer zumeist großen Zahl beteiligter Akteure und relevanter Anspruchsgruppen gestaltet und umgesetzt werden können. Das Gespräch knüpft an das gemeinsam ausgerichtete Symposium „Planungskulturen des Umbauens“ im Juni 2024 im Rahmen der tu! Hambach 2024 an.
Um Umbau in viel größerem Umfang in Gang zu setzen und umzusetzen, benötigen wir eine Veränderung unserer aktuellen Kultur im Planen und Bauen sowie der Kultur, wie wir mit Räumen umgehen, wie wir Räume nutzen, denken und imaginieren. Das Thema Planungskulturen des Umbauens haben wir auf unserem Symposium breit ausgelegt. Hier verbinden sich zahlreiche Disziplinen möglicherweise neu oder auch wieder – und das geht über das engere Verständnis von Planen und Bauen hinaus. Das gilt für die Forschung und für die Praxis.
Umbauen (…) ist keine neue Entwicklung, wir diskutieren (…) das schon seit über 30-40 Jahren (…). Wir sind der festen Überzeugung, dass Umbauen zukünftig ein äußerst zentraler Punkt in der Auseinandersetzung zur Gestaltung unserer Umwelt sein wird. Die Aufträge gehen dahin zu überlegen, wie gehen wir mit den Beständen und mit dem, was wir haben, um (…). Es geht uns um die Kommunikationsaufgabe. Wie kommen wir mit vielen mehr ins Gespräch als nur in unseren Bubbles? Und es geht uns auch darum zu fragen, was muss sich denn wirklich verändern, damit Umbau Akzeptanz erfährt?
Peter Köddermann 11/2024
Also ich beschäftige mich seit (…) über 15 Jahren mit (…) „Typologie(n) des Wandels“ (…). Die haben einerseits eine persönliche Ebene. Ich bin in der Stadt Split aufgewachsen und habe im Diokletianpalast viel Zeit verbracht. Für mich ist der Diokletianpalast einer der Orte des Wandels, der zeigt, wie (…) Dauerhaftigkeit und Permanenz, die richtige Setzung an dem richtigen Ort, (…) als Ausgangsbasis für Transformation genutzt werden können. Und mich interessieren diese unterschiedlichen Logiken in der Transformation (…). Es sind drei. Das eine ist die Naturkatastrophe, das andere ist dieser allmähliche Wandel. Und die dritte sind durch Planung erzeugte Wandlungsprozesse, also „by design“ und irgendwie dafür zu sensibilisieren, zu wissen, dass wir da was gestalten können.
Mario Tvrtković 11/2024
Es gibt rechtliche und wirtschaftliche Hemmnisse auf Bauherrenseite. (…) Die Bauherren müssen die neuen Praktiken am Ende auch anwenden. (…) Dabei unterscheide ich zwischen unterschiedlichen Bauherrentypen, die unterschiedlich agieren. (…) Und ich möchte über zwei Hemmnisse noch kurz sprechen. Das Wesentliche (…) ist einmal, wie sich der Prozess gestaltet – aus einer HOAI heraus, die in den 70er Jahren erfunden wurde, wo ein Top-Down-Prozess die Regel war. Heute brauchen wir (…) andere Planungsstrukturen, agilere, zirkuläre. Und das andere ist (…) der ungeregelte Umgang mit dem Bestand. Also die baurechtliche Grundlage, die wir hier haben und auch die privat rechtliche Grundlage, um mit dem Bestand umzugehen.
Stine Kolbert 11/2024
In Umbauprozessen arbeiten eine große Vielzahl unterschiedlicher Akteure zusammen – von der Planung bis zur Ausführung, vom kleinen Maßstab des Bauteils bis zum großen Zusammenhang der Nachbarschaft und des Quartiers. Umbauprozesse erfordern eine besondere Form der Zusammenarbeit zwischen Disziplinen sowie zwischen Bauherr:innen, Planungs- und Bauexpert:innen, Nutzenden und auch Kommunen. Wie können diese verschiedenen Akteure verbessert angesprochen und zum Zusammenwirken angeregt werden? Wie können tiefgreifende Handlungslogiken adressiert und möglicherweise auch verändert werden?
Die privaten Eigentümerinnen zu motivieren, ihre Gebäude in der Form zu pflegen, also eine Art Care-Arbeit für den Gebäudebestand wirklich verantwortlich zu übernehmen, ist schwierig, aber ist auch niemandem vorzuwerfen. Für uns sind diese ganzen technischen Grundlagen eine Selbstverständlichkeit, aber für den privaten Eigentümer, die private Eigentümerin, ist es eine enorme Überforderung. Und deswegen denke ich auch darüber nach: Wie kann man eigentlich Planung gerechter verteilen? Haben nicht eigentlich alle das Recht auf Planung?
Stine Kolbert 11/2024
Nichts ist wertlos. (…) Ab wann wird es vielleicht wertlos? (…) Wir ökonomisieren von vornherein verschiedene Prozesse und Materialien nach irgendwelchen Marktwertigkeiten. (…) Der Wert von Ressourcen verändert sich fundamental im Moment. Eigentlich ist der Satz ganz einfach: Lass uns davor ausgehen, nichts ist wertlos und dann überlegen, was kann man denn damit machen? (…) Welche Geschichte erzählt uns der Bestand, welche Narrative können wir dort vielleicht auch entdecken und das möglicherweise (…) in Absetzung zu dem, was uns der Neubau, der uns verkauft wird in Bildern, in Prospekten, in Planungen, erzählt, was wertvoll ist. (…) Oder haben wir uns an Dinge gewöhnt, wo einfach systematisch der Ressourcenbegriff ignoriert wird?
Peter Köddermann 11/2024
Wir sollten unsere Planungskultur auch im Sinne der Ziele hinterfragen. Wir müssen in diesen Abwägungsprozessen, die in Planungsprozessen immer eine große Rolle spielen, auch nochmal nachsteuern. (…) Wir leben nun nicht mehr in einer Aufbau-Stadtgesellschaft wie nach dem 2. Weltkrieg, sondern in einer Umbau-Stadtgesellschaft. Das heißt, wir müssen die Parameter der Abwägung neu denken und damit auch die rechtlichen Rahmenbedingungen und Parameter für unsere Planungskultur.
Mario Tvrtković 11/2024
Umbauen bedeutet, Hand anzulegen, sich bereits in der Analyse auf den Bestand einzulassen, das Material und die Konstruktion zu erkunden, ob als Planungs- und Bauexpert:in, als Azubi oder Studierende:r und auch als Nutzer:in. Auch für die Vermittlung von Umbau ist das konkrete Anschauungsobjekt Dreh- und Angelpunkt. So haben heute vor allem Baumärkte eine hohe Anziehungskraft. Wir benötigen neue Orte zum Anfassen, zum Ausprobieren und sich selbst im Umbau Erproben – auch als Nutzer:in, die Umbauen als alltägliche Praxis in eigenen Umfeld erleben kann. Für die planenden und bauenden Berufe sind neue Kompetenzen und veränderte Methoden und Ansätze erforderlich.
Aus meiner Sicht müssen wir auf der Ebene der Planenden, also Architekt:innen und Stadtplaner:innen, Kompetenzen (…) entwickeln und diese auch in der Ausbildung (…) zum Thema machen. Diese Kompetenzen wären z.B.(…) systemisches Denken, Multiperspektivität, Transformationsfähigkeit, Selbstdenken, (…) Verantwortung übernehmen, (…) Antizipationskompetenzen, also Zukunftsvorstellung und eine Kommunikation, (…) die in eine neue Narration führt.
Mario Tvrtković 11/2024
Aus Sicht des Planungs- und Baumanagement und der Projektentwicklung sind transformative Methoden bzw. transformationsorientiertes Planen oder Improvisation davon abhängig, mit welchen Bauherr:innen-Typen man es zu tun hat. Es hat sich gezeigt, dass selbstorganisierte Projekte in Selbstinitiative, also beispielsweise genossenschaftliche Projekte oder über eine Stiftung querfinanzierte Projekte, also gemeinnützig orientierte Projekte den Städten guttun und offener sind für Experimentierräume als professionelle Projektentwickler:innen.
Stine Kolbert 11/2024
„Das Bauen und das Umbauen sind politische Prozesse. (…) Ich erlebe, dass Städte, die sich selbst ein Bild entwickeln, wo sie eigentlich hinwollen (…) und profilieren, besser aufgestellt sind als Städte, die situationsbedingt auf irgendetwas antworten. (…) Wenn das Bauen eine kommunale Aufgabe ist, dann sollte es eigentlich auch kommunale Aufträge geben, die explizit mit dem Umbau umgehen. Aktuell ist es so, dass 80 Prozent der Mittel, die verwendet werden Mittel für das Neubauen und nur 20 Prozent für das Umbauen sind. (…) Nur dann entwickelt sich so etwas wie eine Art Wiederverwendungsmarkt oder Umdeutungsmarkt. (…) Das, was wir gerne als innovative Marktentwicklung im Bauen mitbeschreiben, wird ohne Aufträge nicht laufen.
Peter Köddermann 11/2024
Das Gespräch ist eingebunden in die kommende Ausgabe von pnd zu „Planungskulturen des Umbauens“.
Peter Köddermann, seit 2019 Geschäftsführer Programm von Baukultur Nordrhein-Westfalen und seit 2022 leitender Kurator des Museums der Baukultur Nordrhein-Westfalen. Baukultur NRW ist Initiator des Projekts UmBauLabors in Gelsenkirchen-Ückendorf. Im Fokus stehen neue Methoden zur Untersuchung, Bewertung, Verarbeitung und Verwertung von Materialien sowie zum Ausbau und Umbau von Bestandsgebäuden.
Stine Kolbert ist Professorin für Planungs- und Baumanagement und Projektentwicklung an der FH Aachen und freischaffende Architektin in der Planung, Realisierung und Steuerung von Bauprojekten. Inhaltlich beschäftigt sie sich mit alternativen Ansätzen der Projektentwicklung, unterschiedlichen Akteurskonstellationen und neuen Ideen für Bau- und Planungsprozesse.
Mario Tvrtković ist Professor für Städtebau und Entwerfen an der Hochschule Coburg und wissenschaftlicher Sekretär der Deutschen Akademie für Städtebau und Landesplanung DASL. Er forscht, lehrt und praktiziert zu Fragen einer transformativen Planungskultur im Maßstab von Quartier, Stadt und Region.