In den Wohngebieten ist es sehr still
It is very quiet in the neighborhoods
Transcript in German: Claudia GrevenThürmer, April 22 2020
Remain responsive on site: Claudia Greven-Thürmer reports from her everyday experience as a social space coordinator in Buchheim and Buchforst, two districts in the city of Cologne. She realizes that home office is not suitable for her everyday work. She wants to be on site, remain directly accessible to the residents of the neighborhood and be able to follow what is happening in the districts.
Vor Ort ansprechbar bleiben: Claudia Greven-Thürmer berichtet aus ihrem Alltag als Sozialraumkoordinatorin in den Kölner Stadtteilen Buchheim und Buchforst. Sie stellt fest, dass Home-Office für ihren Arbeitsalltag nicht gut funktioniert. Sie will vor Ort sein, direkt ansprechbar für die Quartiersbewohner*innen bleiben und genau verfolgen können, was in den beiden Stadtteilen passiert.
Wir haben einen großen Discounter, der tatsächlich ein Anziehungspunkt für viele ältere Menschen ist.
Claudia Greven-Thürmer 04/2020
Wie erleben Sie jetzt – nach vielen Wochen der physischen Distanzierung und weitgehender Stille – die aktuelle Situation in Buchheim und Buchforst?
Die Stadtteile sind ziemlich unterschiedlich. Wir haben in Buchforst zum Beispiel die besondere Situation, dass es eine Einkaufsstraße gibt. An dieser Straße liegen zwei Lebensmitteldiscounter, die geöffnet haben. Das führt natürlich dazu, dass dort ein relativ reger Einkaufsverkehr herrscht. Da ist der Stadtteil also immer noch recht belebt, weil sich die Menschen – zwar entfernt und mit Distanzierung – immerhin begegnen. Das ist jetzt in Buchheim völlig anders, wir haben hier kaum noch richtig Einzelhandel. Wir haben einen großen Discounter, der tatsächlich ein Anziehungspunkt für viele ältere Menschen ist. Die gehen selbst einkaufen, obwohl sie das eigentlich nicht sollten. Doch es ist wichtig für sie, weil sie dann noch Menschen sehen, Kontakt haben und auf Distanz miteinander sprechen können.
Auf anderen Plätzen und in anderen Freiräumen ist die Situation anders. Wir hatten einen großen Platz mit großer Anziehungskraft an unserer Kirche in Buchheim. Dies ist auch der Ort, wo die Lebensmittelausgabe von der Tafel stattfindet. Die ist jetzt wieder geöffnet, aber wurde nur zögerlich angenommen, da die Menschen sehr verunsichert waren, ob sie da jetzt hingehen können. In den Wohngebieten selbst ist es sehr still. Ich wundere mich immer, wo die ganzen Kinder sind und wie die Eltern das schaffen, die Kinder zu bespielen und zu beschäftigen. Die Buchse, als Stadtteilzentrum ist auch geschlossen. Das macht Schwierigkeiten. Es gibt immer wieder Anfragen von Einzelnen, die eine Beratung brauchen und wir versuchen das möglichst zu bewerkstelligen.
Können Sie beschreiben, wie Sie aktuell arbeiten. Sind Sie im Home-Office, haben Sie veränderte Tagesrhythmen oder Kommunikationsstrukturen?
Ich bin nicht im Home-Office. Ich bin fast jeden Tag in der Woche hier vor Ort, weil mir wichtig ist, mitzubekommen: Was gibt es hier? Wer hat Bedarf? Wo hat sich spontan etwas ergeben? Gibt es ein Beratungsanliegen? Dass ich fast jeden Tag ins Büro fahre, mache ich vor allem, weil Home-Office und Stadtteilarbeit schlecht miteinander funktionieren. Das Einzige, was gut funktioniert, ist die Facebook Seite, die wir haben: „Wir Buchheimer stehen zusammen“. Sie wurde von unserem Bürgerverein eingerichtet. Die persönlichen Kontakte sind aber weiterhin nötig.
Gibt es ergänzende Medien, von Facebook haben Sie gesprochen, die für Sie jetzt eine Rolle spielen?
Videokonferenzen finden auf institutioneller Ebene mit dem Bürgeramt oder auch unter uns Kolleg*innen statt, wenn wir uns austauschen oder wenn wir mit unserer Geschäftsstelle Besprechungen haben. Dies sind aber keine ergänzenden Möglichkeiten für die Stadtteilarbeit. Wir haben eine Telefonkonferenz zum Thema „Hilfen für Senioren“ gemacht. Das war ganz gut. Trotzdem: Mit den Menschen in Kontakt treten funktioniert wirklich nur im Hier sein. Heute zum Beispiel waren es wieder einige Balkongespräche. Die Leute sitzen auf ihrem Balkon und freuen sich, wenn man vorbeikommt und sie einfach ein paar Worte sprechen können.
Trotzdem: Mit den Menschen in Kontakt treten funktioniert wirklich nur im Hier sein.
Claudia Greven Thürmer 04/2020
Wie erleben Sie das Bedürfnis nach Kommunikation und Austausch aktuell im Quartier?
Das ist sehr hoch. Sobald man sich blicken lässt, kommen die Leute raus und fragen, wie es einem geht und erzählen selbst, wie der Alltag gerade läuft und welche persönlichen Ängste und Sorgen mit der aktuellen Situation verknüpft sind. Ich merke, da ist ein großer Wunsch nach Normalität.
In Ihren Gesprächen auf Distanz, beispielsweise den Balkongesprächen, was finden Sie heraus? Was sind Anliegen und Sorgen, die die Menschen beschäftigen?
Die meisten sind sehr betroffen dadurch, dass sie keine Kontakte haben, etwa zu ihren Enkelkindern. Auch die mittlere Generation ist sehr besorgt, wie es ihren Eltern ergeht. Älteren Menschen, zum Teil auch mit Vorerkrankungen, die zum gefährdeten Personenkreis gehören und genau wissen, dass sie diese Distanz halten müssen, fällt diese Distanzierung ungeheuer schwer.
Die Jugendlichen gehen schon sehr viel lockerer mit der Situation um und treffen sich in Gruppen zu vier oder fünf Personen, sitzen auf den Spielplätzen, wie wir es eigentlich auch aus der Vergangenheit kennen. Für sie ist die Clique ganz wichtig. Die Jugendlichen, die an Jugendzentren angebunden sind und über Möglichkeiten der digitalen Medien verfügen, sind möglicherweise viel bei YouTube und gucken ihre Filme oder stellen selber Filme ein. Das sind aber andere Jugendliche, als diejenigen, die ich hier erlebe. Hier sind schon viele mit wenig Geld, mit wenig Perspektive, die haben gar nicht immer das Handy aufgeladen, die haben nicht unbedingt die technischen Möglichkeiten zuhause, um an solchen Dingen teilzuhaben. Für diese Jugendlichen ist es wichtig, miteinander draußen zu sein, etwa auf Sportplätzen. Gestern habe ich welche beim Basketball spielen gesehen, das sollte ja eigentlich nicht sein. Für sie war es aber vielleicht wichtig, zusammen zu kommen.
Welche weiteren Angebote, Anlaufstellen und Räume sind in den Quartieren wichtig?
Wir haben beispielsweise zwei Einrichtungen, die sehr auf junge Familien spezialisiert sind, da sind die Mitarbeiter*innen jedoch fast alle im Home-Office. Die Einrichtungen haben versucht, die Erreichbarkeit über Rufumleitungen auf Diensthandys herzustellen. Dabei haben sie aber festgestellt, dass sie zumindest zweimal in der Woche vor Ort sein müssen, um die Familien zu unterstützen. Eine Anlaufstelle für Anträge, etwa für zusätzliche Hilfen in Kurzarbeit, ist ebenfalls wichtig für die Menschen im Stadtteil.
Dass ich fast jeden Tag ins Büro fahre, mache ich vor allem, weil Home-Office und Stadtteilarbeit schlecht miteinander funktionieren.
Claudia Greven-Thürmer 04/2020
Was sind Herausforderungen und Probleme, die in den nächsten Monaten auf ihre Quartiere zukommen?
Wir haben hier viele Veranstaltungen abgesagt, was ausgesprochen schade ist. Darüber hinaus haben wir viele Familien, die aus der Türkei kommen und die im Sommer geplant hatten, dort hinzufliegen. Die Familien hatten zum Teil schon Flüge gebucht und haben jetzt die Schwierigkeit, da es eben keine Pauschalangebote sind, so dass es wahrscheinlich keine Möglichkeit gibt, davon zurück zu treten. Das ist die eine Sache. Die andere Sache ist die, dass wir in den Ferien nicht wissen, ob wir für die Kinder Programm machen können, was wir gerne würden.Das führt zu großer Unsicherheit, da wir nicht wissen, wie lange wir noch mit dieser unklaren Situation umgehen müssen. Eine Idee ist es beispielsweise, Balkonaktionen mit den Quartiersbewohner*innen durchzuführen, etwa Blümchen für die Balkonbepflanzung oder manchmal haben wir Musiker*innen in den Innenhöfen gehabt. Hier bei uns geht das leider nicht, weil nicht alle Balkone in den Innenhof führen. Dann würden möglicherweise aus den anliegenden Straßenzügen Menschen dazu kommen und dann wäre es wieder nicht im Sinne des Abstandsgebotes. Das alles erschwert uns gerade die Planung von erheiternden oder guttuenden Aktionen.
Wir versuchen aktuell noch eine weitere Lebensmittelausgabe ins Leben rufen. Da ist die Frage, wie man das organisieren kann, dass der Abstand eingehalten wird. Dafür müssen wir noch die entsprechenden Räumlichkeiten suchen und schauen, wie wir diese dafür herrichten. Zudem muss der Ablauf genau überlegt werden. Das sind alles Dinge, mit denen wir uns hier beschäftigen.
Gibt es noch andere Akteure im Quartier, die Bürgerschaft selber, die aktiv wird und sich selbst organisiert?
Ja, das ist zum Glück so. Wir hatten hier schon vor Corona einen sehr aktiven Mieterrat, der sich im Bereich der GAG Wohnungen engagiert und das ist ein großer Teil von Buchheim, wo diese Wohnungsgesellschaft ganz stark ist. Im Mieterrat gibt es auch einige, die es schaffen, sich mit Telefonketten untereinander anzurufen – auch das Seniorennetzwerk geht so vor. Diese haben zum Teil auch Untergruppen, wie zum Beispiel die Englischgruppe oder der Literaturkreis. Die schaffen das, untereinander Kontakt zu halten. Das ist gut. Auch die GAG hat ein Sozialmanagement. Die Kolleg*innen, die jetzt für uns zuständig sind, kontaktieren Menschen, die sonst niemanden mehr haben.
Was wünschen Sie sich für die Bewohner*innen und für sich selbst in den kommenden Monaten?
In erster Linie wünsche ich mir, dass die Bewohner*innen weiterhin stark genug sind die nötige Gelassenheit immer wieder zu finden. Außerdem würde ich mich freuen, wenn Leute mit Ideen auf mich zukommen. Zurzeit ist ganz viel möglich, weil die Großveranstaltungen alle nicht stattfinden werden. Es gibt also viel Raum, Neues zu starten.
Claudia Greven-Thürmer ist Diplom Sozialarbeiterin und arbeitet seit 2006 als Sozialraumkoordinatorin in Köln Buchforst und Buchheim.