Das Wissen der Vielen einbeziehen
Incorporating the knowledge of the many
Podcast in German:
Annegret Michler, Ferdinand Nehm, Birte Pereira,
April 9 2021
A city is developed by many – individuals, groups and organizations with different experiences, backgrounds and demands. Awareness of the diversity of stakeholders seems to be growing among planning practitioners. What does this imply for urban development and for the design of processes? Lea Fischer and Agnes Förster explore these and other questions, representative for the Research Training Group Mittelstadt als Mitmachstadt (funded by Robert Bosch Stiftung), in conversation with Annegret Michler, Ferdinand Nehm and Birte Pereira.
Eine Stadt wird von vielen entwickelt – Individuen, Gruppen und Organisationen mit unterschiedlichen Erfahrungen, Hintergründen und Ansprüchen. Das Bewusstsein für diese Akteursvielfalt scheint unter Planungspraktiker:innen zu steigen. Doch was bedeutet dies für die Stadtentwicklung und wie lässt es sich in der Gestaltung von Prozessen nutzen? Diesen und weiteren Fragen gehen Lea Fischer und Agnes Förster für das von der Robert Bosch Stiftung geförderte Graduiertenkolleg Mittelstadt als Mitmachstadt im Gespräch mit Annegret Michler, Ferdinand Nehm und Birte Pereira nach.
Ich glaube, gerade die Vielfalt an Gesichtspunkten ist spannend, wenn Leute eine Perspektive einbringen, die nicht mit einer menschlichen Vielfalt zu tun hat, sondern damit, zu welcher Akteursgruppe sie gehören.
Ferdinand Nehm, 04/2021
Die Sichtweisen auf Vielfalt sind selbst vielfältig. In der Diskussion wird deutlich, dass sie in der Stadtentwicklung verschiedenste Dimensionen hat und darin zum Ausdruck kommt, wie Akteur:innen miteinander interagieren und kommunizieren. Jedoch bleibt nicht unberücksichtigt, dass bei der Abbildung von gesellschaftlicher Diversität Privilegien und Machtunterschiede ihre Wirkung entfalten und es zu einer Herausforderung machen, die tatsächliche Differenziertheit einer Akteurslandschaft in Planungsprozessen einzubinden.
Beteiligte und Betroffene in der Stadtentwicklung als Akteur:innen zu betrachten, scheint für die Podcastteilnehmer:innen zentral. So wird klar, dass zu dieser Kategorie nicht nur die Bürgerschaft, sondern auch viele andere Personen und Institutionen gehören und dass eine Auseinandersetzung mit ihnen selbst ein dynamischer und zutiefst kommunikativer Prozess ist. Wissen über Akteur:innen lässt sich kaum vom Schreibtisch aus generieren, sondern es braucht den Schritt in den Dialog, aber auch in den Stadtraum, auf die Straße, um die Lebenswelten zu erkunden und Beziehungen zu Personen aufzubauen, um sie aktiv in Planungs- und Partizipationsprozesse einbinden zu können. Dabei bewirkt eine solche Auseinandersetzung mitunter auch, dass Akteur:innen plötzlich von anderen Beteiligten ganz anders gesehen werden oder ganz andere Rollen einnehmen als erwartet.
Beteiligungsprozesse benötigen Überzeugungsarbeit. Da geht es darum, Vertrauen und Beziehungen aufzubauen – gerade für Gruppen, die es nicht gewohnt sind, so viel Mitspracherecht zu haben.
Birte Pereira, 04/2021
[…] dass die Bürger sich weiterentwickelt, sich selbst formiert und weiter ihre Themen bearbeitet haben. Das ist eigentlich die Zielsetzung, wenn das längerfristig angelegt ist.
Annegret Michler, 04/2021
Mit dem Beziehungsaufbau zu Beginn eines Partizipationsprozesses ist es nicht getan. Das Thema der Verstetigung von Akteurskonstellationen rückt in den Mittelpunkt des Gesprächs, da es für alle Gesprächspartner:innen eine Schlüsselfrage im Umgang mit Akteursvielfalt darstellt. Gerade in der spezifischen Situation, dass eine Verwaltung einen Prozess initiiert und verantwortet, aber die Prozessbegleiter:innen nur für eine bestimmte Zeit mit der Umsetzung beauftragt sind und anschließend den Prozess anderen Akteur:innen überlassen müssen, braucht es konkrete Lösungen. Eine aktive Einbeziehung der Verwaltung in ihren verschiedenen Rollen könnte hier einen Ansatz darstellen, aber auch, den Akteur:innen sukzessive Verantwortung im Prozess wie beispielsweise die Moderationsrolle zu übertragen und neue Aufgaben ausprobieren zu lassen.
Vielfältige Ansätze, wie sich zukünftig mit der Akteursvielfalt in der Stadtentwicklung umgehen lässt, kristallisieren sich gegen Ende des Podcasts heraus. So ist eine komplexe, heterogene und mehrdimensionale Akteurslandschaft ein Faktum, um das Planer:innen und Prozessgestalter:innen nicht herumkommen, ohne dessen Potenziale sich aber auch die komplexen Problemstellungen heutiger Stadtentwicklung kaum lösen lassen. Die Planungspraxis scheint bereits in einem Wandel begriffen, sich darauf mit immer offeneren, umfassenderen und auch langfristigeren Prozessen einzustellen, wird aber sicherlich noch einiges zu tun haben.
Ich würde mir wünschen, dass klar wird, dass das Thema Vielfalt, und damit die gelebte Stadt, eigentlich diesen Kern einer Stadt ausdrückt.
Annegret Michler, 04/2021
Wir brauchen einen Kulturwandel, wie diese Planungsprozesse für das Wissen der Vielen geöffnet werden können. Und das geht nur, indem man Macht teilt und sich dafür öffnet und sich darauf einlässt.
Ferdinand Nehm, 04/2021
Nur auf ein Merkmal zu schauen greift einfach zu kurz, da müssen wir ganzheitlicher denken und das wünsche ich mir generell für die Themen, aber auch für die Akteure.
Birte Pereira, 04/2021
Annegret Michler ist Architektin und leitet das Büro Die Stadtentwickler für integrierte Stadtentwicklung in Kaufbeuren. Sie konzipiert und begleitet Planungs- und Stadtentwicklungsprozesse, darunter sind viele Projekte in Mittelstädten.
Birte Pereira ist Politik- und Verwaltungswissenschaftlerin und arbeitet als Prozessbegleiterin bei dem interkulturell ausgerichteten IMAP-Institut in Düsseldorf. In dieser Funktion ist sie auch für partizipative Prozesse auf kommunaler Ebene zuständig mit Fokus auf Vielfalt und Integration.
Ferdinand Nehm ist Sozialwissenschaftler und tätig für das Institut für partizipatives Gestalten in Oldenburg. Für das Institut verantwortet er die Stadtwerkstatt Berlin, ein langfristig angelegtes Beteiligungsverfahren zur Stadtplanung in Berlin-Mitte. Dort organisiert und gestaltet er die Zusammenarbeit verschiedener Akteur:innen.