… weniger schnell, weniger komplex, gar gestoppt?
… less fast, less complex, even stopped?
Podcast in German:
Dr. Oliver Märker, Prof. Dr. Klaus Selle, June 8 2020
Participation becomes more conscious. The Corona crisis has triggered an impulse of digitalisation in processes of urban development that are dialogue- and participation-oriented. It has become clear that informal communication, the so-called side talk in particular, is difficult to replace digitally and must be consciously initiated. The interaction of online- and offline-formats allows an appropriately differentiated process design. But the success of participation (online and offline) depends on the attitude of the actors: Participation must be desired. A conscious and differentiated environment- and actor-analysis makes it possible to include the various actors in the processes with consciously chosen approaches.
Bewusster beteiligen. Die Krise hat einen Digitalisierungsschub in dialog- und beteiligungsorientierten Prozessen der Stadtentwicklung ausgelöst. Dabei zeigt sich: Obwohl insbesondere die informelle Kommunikation, das sogenannte Nebengespräch, digital nur schwer zu ersetzen ist und bewusst angestoßen werden muss, fördert das Zusammenspiel von Online- und Offlineformaten eine angemesse differenzierte Prozessgestaltung. Dabei kommt es auch hier auf die Haltung der Akteure an: Beteiligung muss gewollt sein und erfordert weiterhin eine bewusste und differenzierte Umfeld- und Akteursanalyse, um diese mit unterschiedlichen Ansprachen in die Prozesse einzubeziehen.
Mitte März 2020 kam auch die Planungswelt zum Stillstand: Auf kommunaler Ebene wurden jegliche Veranstaltungen wie z.B. Gemeinderatsklausuren, Bürgerwerkstätten, Informationsveranstaltungen und Runde Tische gestoppt oder verschoben. Ebenso war es auf der nationalen Ebene mit Veranstaltungen wie z.B. dem Tag der Städtebauförderung, der Jahrestagung der DASL sowie unzähligen Fortbildungsseminaren. Welche Auswirkungen hat die Krise auf die Stadtentwicklung? Inwiefern werden sich Themen, Akteure, Zeitplanungen verändern? Was bedeutet das insbesondere für dialog- und beteiligungsorientierte Stadtentwicklungsprozesse? Was bleibt, was kommt, was verändert sich? Wird es einen neuen Umgang mit Kommunikation geben?
Diese Fragestellungen haben Dr. Fee Thissen, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Planungstheorie für Stadtentwicklung der RWTH Aachen und Dr. Christine Grüger vom Moderationsbüro suedlicht aus Freiburg mit zwei Experten erörtert: Prof. Dr. Klaus Selle, NetzwerkStadt GmbH, nahm im Gespräch vor allem die Perspektive der lokalen Stadtentwicklungspraxis ein. Dr. Oliver Märker ist Gründer und Gesellschafter der Agentur Zebralog und Leiter des Bonner Büros. Er gilt als Pionier der Online-Beteiligung.
Entscheidend ist die Haltung zu einer dialogischen Planungs- und Politikkultur. Sie entscheidet über Erfolg oder Nichterfolg, welcher Formate auch immer.
Klaus Selle 06/2020
Wieso will ich überhaupt, wen, warum, mit welchen Zielen beteiligen? Dann erst ist die Frage: Ist online oder offline besser geeignet?
Oliver Märker 06/2020
Die Corona-Krise wird in der Planungspraxis in Phasen wahrgenommen: zuerst eine Art von Schockstarre, die vor allem öffentliche Erörterungen von Planungsprozessen zum Erliegen brachte, über das Krisenmanagement hin zum Übergang, die notwendige Kommunikation ins Digitale zu verlegen, um die ins Stocken geratenen Prozesse fortzuführen.
Im Fokus des Gesprächs steht die Frage, ob das Digitale zukünftig die Prozesse dominieren bzw. verändern wird. Von beiden Gesprächspartnern wird hervorgehoben, dass es zukünftig eine wohldurchdachte Balance zwischen digitaler und analoger Kommunikation geben werde: crossmedial, das heißt ein Wechselspiel von synchronen und asynchronen Formaten. Dabei ist die ‚Nebenbeikommunikation‘ mitzubedenken und aktiv in diese Prozesse zu integrieren. Möglich ist dies beispielsweise durch Ab- und Umfragen oder Kleingruppenarbeit in Breakoutrooms sowie durch den verstärkten Einsatz von Gestik und Mimik.
Wichtige Erkenntnis des Gesprächs ist, dass – unabhängig, ob digitale oder analoge Formate – die vor Ort etablierte Planungskultur und Haltung entscheidend für den Erfolg von Beteiligung ist. In der übergroßen Mehrzahl aller Fälle gehe es allerdings ohnehin nur um das rechtssichere Abwickeln von Verfahren – und da komme das Plansicherstellungsgesetz gerade recht. Dort, wo man Erörterungen wirklich ernst nähme und mit Aussicht auf Ertrag Beteiligungsprozesse in Gang setze, liefe das vielleicht auf eine ‚Ökonomie der Beteiligung‘ hinaus: Man müsse wieder bewusst nachfragen: Wen will ich wann warum beteiligen? Die sorgfältige Akteursanalyse sei im digitalen Format genauso wichtig wie im analogen. Es brauche mehr Sorgfalt, um die richtigen Personen für ein Projekt anzusprechen, notfalls telefonisch! Also ist die aufsuchende Beteiligung auch im Digitalen ein wesentlicher Arbeitsschritt.
Es ist jetzt so, dass wir die Grenze zwischen synchronen und asynchronen Formaten neu gestalten. Die Kombination ist die neue Form, die sich im Gespräch mit den Kommunen und Landesministerien herauskristallisiert.
Oliver Märker 06/2020
Ich kann mir gut vorstellen, dass in fünf Jahren die Trennung zwischen analog und digital, mit der wir heute noch gelegentlich hadern, völlig gegenstandslos geworden ist. Die jeweils richtige Form der Kommunikation ergibt sich dann aus den inhaltlichen und prozessualen Zusammenhängen.
Klaus Selle 06/2020
Eine andere Ökonomie der Beteiligung: Nicht „alle“ oder „möglichst viele“ beteiligen wollen, sondern fragen: Wie erreichen wir die, die wir für diesen Fall brauchen, auf geeignete Weise?
Klaus Selle 06/2020
Prof. Dr. Klaus Selle war nach verschiedenen Universitäts-Etappen von 2001 bis 2018 Leiter des Lehrstuhls Planungstheorie und Stadtentwicklung an der RWTH Aachen. Parallel dazu ist er seit Mitte der 1970er Jahre in verschiedenen Praxisfeldern der Stadtentwicklung aktiv – derzeit mit seinem Büro NetzwerkStadt GmbH. Einen Schwerpunkt bildet dabei die Kommunikation zwischen und mit allen Akteuren, die an diesen Prozessen beteiligt sind oder werden sollten.
Dr. Oliver Märker lebt als Geograph, Moderator und Online-Pionier in Bonn. Er ist Mitbegründer von Zebralog und leitet seit 2007 das Bonner Büro. Als einer der Pioniere der Online-Beteiligung in Deutschland fühlt sich Oliver Märker in der digitalen Welt zuhause und gestaltet mit seinem crossmedialen Ansatz verschiedenste Beteiligungs- und Moderationsprozesse.